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Dienstag, 6. August 2013

NÖRDLICH VON SANTA FE

Vom Reiten, Hüpfen, Tauchen und der Angst

Wenn ich Gus antreibe, damit er trabt, dann hüpfe ich gewaltig auf und ab. Sein Schritt wirft meinen Oberkörper hoch und knalle mit dem Hintern voll in den Sattel zurück ...
Eric nennt das "bouncing"

Wenn ich Gus antreibe, damit er trabt, dann gibt er richtig Gas, er verfällt in Gallopp.
Die Geschwindigkeit ist relativ zu einem Auto wohl nicht sehr hoch, aber auf einem Pferd fühlt sich das wie fliegen an.

Wenn ich Gus antreibe, damit er trabt, dann soll er traben und nicht galoppieren.
Er macht es trotzdem und ich soll lernen ihn davon abzuhalten.
Ich hänge dann mit etwas Angst im Sattel und versuche das RiesenVieh unter mir zu kontrollieren.

In meiner Angst halte ich ich mich mit den Oberschenkeln an Gus Seiten fest. Für Gus bedeutet dieser Druck "... schneller" und er rast los.
... voll kontraproduktiv!!

Reiten undd Tauchen haben viel gemeinsam, es sind langsame Tätigkeiten. Wenn Du zu schnell, zu aufgeregt bist vor Angst oder gar Panik, dann passiert bei beiden genau das Gegenteil von dem was Du erreichen willst.

Also ... ich muss die Angst mitten im Gallopp überwinden, locker bleiben und Gus steuern statt mich wie ein Greenhorn an seinen Flanken und am Sattelhorn festzuklammern.

Das habe ich gelernt und es hat heute zum ersten Mal geklappt. Gus trabte wie eine Fee und ich hüpfte auf und ab wie ein Gummiball.

Eric sagt: "You are not the only one who bonces in the saddel, and not even in the saddle"
Was sinngemäss heisst:
Du bist nicht der einzige der im Sattel auf den Arsch knallt, und nicht nur im Sattel.

Heute ging ich mit Sue an ein Rodeo.

Es gab zwei wichtige Momente.
Erstens das Gruseln, bei der Nationalhymne aufstehen zu müssen (ich bin aufgestanden!)
und zweitens zu sehen wie die besten Reiter und Reiterinnen voll mit dem Arsch in den Sattel knallen beim Trab.

Aber das Lernen geht weiter: auf der Rückfahrt sagte Sue man könne MIT oder GEGEN den Rythmus des Pferdes "boncen".
Ich arbeite dran ....

Pferdeverstand

Pferde sind Fluchttiere, wenn ihnen etwas Angst macht oder auch nur komisch vorkommt, dann laufen sie davon.
Es braucht viel Training um sie davon abzuhalten. Flucht hört sich nach Feigheit an, heute am Rodeo lernte ich Pferde aber von einer ganz anderen Seite kennen.

Der Job ist, ein Rind mit einem Lasso zu fangen. Das Rind steht in einer Startbox. Das Pferd mit Reiter seitlich dahinter.
Wenn das Rind aus der Box gelassen wird, rennt es los und Pferd undd Reiter müssen es fangen.

So weit die Theorie ... das ist mehr oder weniger langweilig und irgendwie ein Cirkusnummer, die mal besser, mal schlechter klappt. Man kann das aufregend finden ... ich finde es doof.

Was mich jedoch umgehauen hat, ist die Pferde anzuschauen.
Wenn man diese immer etwas gleichmütigen, meist friedfertigen Fluchttiere so sieht, mag man kaum glauben was für einen Jagdtrieb sie entwickeln können.

Das Pferd steht also neben der Box, 2-3 Meter nach hinten versetzt, es fixiert das Rind in der Box mit beiden Augen, zuckt mit keiner Wimper, der ganze Körper ist angespannt als wenn man eine junge Birke zu Boden biegt.
Das Rind hat kaum eine Chance gegen das Pferd, bevor es den ersten Schritt aus der Box gemacht hat, ist das Pferd schon neben ihm.
Mit einer Konzentration die ich einem Raubtier zuschreiben würde - aber niemals einem Pferd - bleibt es direkt neben dem Rind, lässt es niemals aus den Augen, serviert es dem Reiter auf dem Tablett.
Das Pferd macht nie einen Fehler, es macht seinen Job perfekt. Die Reiter machen Fehler, sie bekommen die Schlinge nicht über den Kopf vom Rind oder es entwischt ihnen sonstwie.
Falls jedoch das Lasso richtig um den Hals des Rinds liegt, bleibt das Pferd mitten aus dem vollen Gallopp, den es 3 Sekunden vorher erst begonnen hat, auf dem Punkt stehen. Es hält völlig selbstständig, das Rind immer im Blick, mit absoluter Genauigkeit, das Seil straff während der Reiter sich mit dem Rind abmüht.

Ich war plötzlich verdammt froh, dass Pferde Fluchttiere sind und keine Raubtiere. Wir hätten nicht mal die kleine Chance die das Rind gegen das Pferd hat, wir hätten gegen ein fleischfressendes Pferd nicht mal die Idee einer Chance.

Die Menschheitsgeschichte wäre verdammt anders verlaufen - in diesem Fall.
... ist sie aber nicht!

Ich sitze also friedlich auf Gus undd erzähle ihm eine Geschichte - der getreue Leser sieht also, ich nerve nicht nur Menschen mit meinen Storys - während wir auf Eric warten.
Gus dreht seinen Kopf zu mir während ich so vor mich hin plappere, schaut mich mit einem Auge an und sein Blick scheint zu sagen: "es wäre auch O.K. wenn Du Deine Klappe hälst"

Ich bin also ruhig.
Später, unterwegs, merke ich wie gross mein Vertrauen zu Gus in diesen 4 Tagen geworden ist. Ich lenke ihn nur noch wenn es unbedingt sein muss, ansonst spüre ich, er weiss viel besser als ich wie wir die steilen Hänge rauf oder runter kommen, wie man auf Geröll geht ohne sich den Hals zu brechen und wo es nach Hause geht ...
... das ist der einzige Punkt, wo Gus uns ich uns nicht so einig sind.

Er verarscht mich nach wie vor, manchmal wechselt er ganz langsam, fast heimtückisch die Richtung, dann scheint sein Schritt ein wenig beschwingter und dass er nicht vor sich hinpfeift, ist echt alles.

Ich falle machmal drauf rein undd merke es nicht. Dann ruft Eric "he goes home" ... aber meistens komme ich dem Burschen drauf, ich muss dann lachen ... dann muss ich ihm ein wenig zeigen wo ich lang gehen will.
Das Geräusch was Gus dann mit den Lippen macht hört sich so deutlich wie der leicht unterdrückte Fluch "Shit" an, dass ich noch mehr Verrtrauen zu ihm bekomme.
Denn wenn ich Gus währe und hätte mich auf dem Rücken, würde ich auch versuchen heimlich nach Hause zu kommen und fluchen wenn man mich dabei erwischt.


The Real Wild West

"In the town where i `ve been born, lived a man who sailed to sea, and he told us of his life ..."
Als Kind hörte ich das Wort "Seemannsgarn" und hatte nicht wirklich eine Vorstellung was das ist. Ich dachte an Tauwerk, welches damit vernäht wird ... oder an Matrosenhemden in Weiss-Blau die mit ebenso gefärbtem Garn gemacht werden.
Viele Jahre später fragte ich einen Seemann, der schon lange an Land lebte und je länger je öfter Geschichten aus seiner Vergangenheit auf den 7 Weltmeeren erzählte, ob denn diese, teils phantastischen Erzählungen, wahr seinen.
Er guckte mich eine Weile ruhig an und sagte dann: "min Dschung, dat, wat ich dir da vertell, dat is ollerbestes Seemannsgarn, ne"(1)

Inzwischen wusste ich was Seemannsgarn ist, damit näht man gar nix zusammen ... na ... vielleicht doch ... doch dazu später.
Wenn Eric mir von den Indianern erzählt, die hier, auf dem Boden der jetzigen Ranch, ihre Siedlung hatten und mir die Abdrücke ihrer Tipis zeigt, dann weiss ich, ich bin am richtigen Ort um Reiten zu lernen.

Der wirkliche Wilde Westen, so sagte ich mir selber, das war hier.
Nun ist mir natürlich klar, die Geschichte fand nicht nur hier statt sondern überall auf dem Kontinent, vom Atlantic, zu den grossen Flächen der Prärie, über die Rockys bis zum Pacific, von Mexico bis hinauf nach Alaska.

Ich frage mich also, wie komme ich also dazu, zu sagen grad hier sei der richtige Wilde Westen.
Um nicht ohne Antwort zu bleiben, konfrontierte ich Sue mit meiner Frage. Ich erwartete so halb, sie würde über meine, ein wenig infantile, Vorstellung lachen.

Tat sie nicht! Sondern sie zeigte auf eine grasüberwachsene Felsengruppe in vielleicht 250m Entfernung und sagte: "Yes ... you know who the Marlboro Man is? The pictures you see in the comerciales are shoot over there"(2)

Da war mir klar, warum ich glaubte ausgerecht hier sei "Wild West" - ganz einfach, dies ist vielleicht der schönste Flecken Erde den ich je gesehen habe. Ein Ort, an dem ich jeden Moment erwarte eine Gruppe halbnackter Krieger auf kleine gescheckten Pferden hinter der nächsten Bodenwelle zu treffen, ein Ort an dem ich fünf Coyoten, einer hinter dem anderen, am Horizont entlangen ziehen sah, seelenruhig und unbeeindruckt vom Gebell von Blue und Sandy, ein Ort von dem Eric mir - ich höre die Bewegtheit in seiner Stimme - sagt "this was a holly place of the Indians"(3) und andächtige einen Moment sein Pferd anhält bevor er weiter reitet, ein Ort an dem er eine gefunden Pfeilspitze mir zeigt, 3000 Jahre alt und so scharf, dass man damit  sie -jetzt- auf einen Pfeil setzen könnte um  loszuziehen auf die Jagd.

Zurück zur Geschichte mit dem Marlboro Man.
"... even if this would have been not the "real wild west" I would have written this in my blog, because it looks like. But its of course much more nice, its the truth"(4) antwortete ich Sue auf ihre Bemerkung hin.

Seemansgarn näht wohl doch etwas zusammen, die Wahrheit und die Phantasie.
Denn die reine Wahrheit ist soviel wert wie eine tote Katze (5) lebendig wird sie erst wenn sie mit unserer Phantasie verbunden wird.

Übersetzungen/Fussnoten
  1. Mein Junge, das was ich Dir da erzähle, das ist allerbestes Seemansgarn, nicht wahr.
  2. Ja ... Du weisst wer der Marlboro Mann ist? Die Bilder die Du in der Werbungs siehst, haben sie dort drüben aufgenommen.
  3. Dies war ein heiliger Ort der Indianer.
  4. ... selbst wenn dies nicht der "wahre Wilde Westen" gewesen wäre, ich würde es trotzdem im meinem Blog so geschrieben haben, weil es so aussieht. Aber es ist natürlich netter, wenn es die Wahrheit ist.
  5. Den Wert einer toten Katze kann man nicht beziffern, denn weil sie gar nichts wert ist, ist sie gleichzeitig alles wert. Dieser Gedankengang stammt nicht von mir, sondern von Salinger.










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