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Donnerstag, 15. August 2013

Über die Einsamkeit des Alleinreisenden

Wenn ich sich bewegende Gegenstände photographiere, wenn ich also die Kamera der Bewegung des Gegenstandes nachführe, dann um Diesen in seiner Bewegung zu zeigen.

Nun sieht ein bewegter Gegenstand im Prinzip nicht anders aus als ein unbewegter.
Ein geworfener Ball bleibt auch in der Bewegung nichts anderes als ein Ball.
Je nach dem welche Verschlusszeit ich wähle, ist er mehr oder weniger sauber abgebildet - aber eben ein Ball.
Seine Bewegung wird nur sichtbar relativ zum Hintergrund.

Eigenlich steht der Hintergrund still und der Ball bewegt sich. In der Aufnahme jedoch ist es genau umgekehrt, der Ball ist still und alls Ball zu erkennen, der Hintergrund jedoch verschwommen und scheinbar bewegt.

Eine andere Methode den fliegenden Ball zu photographieren ist, die Kamera nicht ihm nachzuführen, sondern sie fix in die Flugbahn des Balls zu halten und in dem Moment auszulösen, in dem der Ball vorbeifliegt.
Der Effekt wird sein, in der Aufnahme, ist der Hintergund scharf und der Ball unscharf abgebildet. Er ist eigentlich kein Ball mehr sondern ehe ein Stich, eine ballistische Kurve oder ein Farbkleks mit verwaschenen Konturen.

Was ich habe, ist also ein Foto mit einem Irgendwas drauf.
Dieser Effekt entsteht natürlich nicht nur bei Gegenständen, sondern auch bei Lebewesen.

Der Reisende, in seiner Bewegung begriffen, hat viel mit der beschriebenen Aufnahme des Balls gemeinsam, scheint mir.

Betrachtet sich der Reisende in seiner Bewegung durch den Raum, durch die Zeit, so erscheint nur er selber und seine Wahrnehmung scharf abgebildet.

Der Hintergrund verschwimmt, wird als solcher nicht mehr durchgängig wahrnehmbar, zerfällt in Situationen, Begegnungen, Sequenzen, ist vergänglich und schemenhaft.

Er zieht hinter dem Reisenden hindurch, wie diese alten, drehbaren Kulissen, die man einst gebrauchte um zum Beispiel eine Autofahrt zu simulieren.
Auf einer Endlosleinwand ist eine Landschaft gemalt, die sich über zwei senkrecht drehende Walzen bewegt. Das Auto mit den Reisenden steht still und die Landschaft fliegt hinter ihnen vorbei.

So ist der Reisende seines Hintergrundes als Konstante gewissermassen beraubt, wobei er durch seine gewollte Bewegung sowohl der Beraubte als auch der Räuber ist.
Er entzieht sich seines Hintergrundes.

Es tauchen dafür neue Hintergründe auf, das ist ja der Sinn des Reisens - jedenfalls des nicht-geschäftlichen Reisens - also des sozusagen privaten, lustbezogenen Reisens.
So mag der Mensch, der von Berlin in die Toskana reist und dort gute Luft und noch besseren Wein findet und Gespräche und Ferienbekanntschaften, sich vor diesem neuen Hintergrund wohlgefällig einrichten.

Er hat so seine Lieblingstrattoria und das Handtuch auf dem Liegestuhl am Pool und die Familie Meier aus Unna und den Receptionisten, der ihn am Morgen freundlich begrüsst und ihm am Abend eine gute Nacht wünscht.
Nun nehme ich mir heraus diesen Mann aus Berlin mal nicht als Reisenden, sondern als "Tapetenwechsler" zu bezeichnen. Das meine ich gar nicht abfällig, sondern ist durchaus aus eigener Erfahrung abgeleitet.

Den möchte ich als Reisenden betrachten, der in der Bewegung verhaftet bleibt.
Aus den Notwendigkeiten des menschlichen Seins heraus, muss er natürlich mal schlafen und am Esstisch und nachher auf dem WC stillsitzen.

Jedoch ist dieses Innehalten, des Reisenden nach meiner Definition, eher von ebendiesen Notwenigkeiten, als primär vom Bedürfnis,  sich nur mal in einer anderen Kulisse auszuprobieren, geleitet.

Der Reisende also, eines Hintergrundes in diesem Sinne enthoben, nimmt sich selber als"scharf" wahr, während der Hintergrund schemenhaft dem Werden und Sein, dem Kommen und Gehen unterliegt.
Was also bleibt, ist er selber vor einer sich bewegenden Kulisse ohne verbindliche Anhaltspunkte.
Niemand fragt nach ihm und er selber fragt auch nach nichts, ausser dem, was eben die angesprochen menschlichen Notwenigkeiten betrifft.

Nun ist jedoch Verbindlichkeit eine ebensolche Notwendigkeit, die er aufgrund seiner selbstgewählten Bewegung nicht nachfragen kann, wie zum Beispiel um einen Kafi oder Druckluft für den Pneu.
Das schafft einen Mangel, eine Notwenigkeit wird nicht mehr abgedeckt werden können.
Diesen Mangel nenne ich dann Einsamkeit. Mangel erzeugt Bedürfnisse und unabgedeckte Bedürfnisse erzeugen Unwohlsein.

So wird der Reisende versuchen, nicht nur sich selber scharf, in der Bewegung wahrzunehmen, sondern ist aus seinem Mangel heraus und auch aus anderen Gründen wie Interesse usw. bestrebt, sich eines Hintergrundes zu versichern.
Er wird sich Bezugspunkte schaffen, Haltestellen im bewegten Sein, Anhaltspunkte, Zwischenziele, Herausforderungen.
Dieser menschlich völlig richtige weil nachvollziehbare Bestreben hat jedoch einen Nebeneffekt, den ich versucht hab am Beispiel des Balles darzustellen.

Wenn der Hintergrund scharf abgebildet wird, dann wird der Reisende unscharf dargestellt, schemenhaft und fast beliebig in seiner Form.

Das nun wieder hat die Tendenz den Reisenden sich seiner Selbst - bezogen auf die Tätigkeit des Reisens - zu berauben.
Nirgendwo verankert, kann die Scharfstellung auf den Hintergrunde, ihn selber nur noch als efimere Erscheinung dokumentieren.

Das die Beraubung seines Selbst aus der Definition als Reisender heraus ebenfalls einen Mangel erzeugt, scheint mir sinnhaft und selbstverständlich.

Hin und hergerissen zwischen den beiden Einstellungen der inneren Kamera, die sein Leben ablichtet, ist der Reisende mit sich selber in einer Weise konfrontiert, die dem auf dem Auf-Dem-Sofa-Gebliebenen oder dem reinen Tapetenwechseler so nicht widerfährt.

Was also soll das? Wozu das Ganze? Was ist das Ziel des Reisenden? ... fragt sich der aufgeweckte Leser.

Nachdem ich mich Jahrzehntelang mit der Tapetenwechslerei - meist noch in Begleitung der jeweilligen Geliebten - übte und dadurch weder das Fernweh gestillt, noch die Liebe lustvoller wurde, habe ich nun diesen Versuch gewagt.

Nach nun der Hälfte der Zeit kann ich sagen - ja! es ist ein Wagnis!!

Es ist eine bewusste Herausforderung, allein und in der Bewegung verhaftet, ohne konstanten Hintergrund vor dem flackernden Licht der wechselnden inneren Einstellungen zu reisen, ja - für ein paar Monate - zu existieren.

Ob das Wagnis sich lohnt? Ich weiss es nicht. Was ich jedoch weiss, ist, ich lerne mich besser und präziser  kennen als auf dem Sofa daheim.
Mir gefällt sicher nicht alles was ich da kennenlerne - aber DAS ist ja auch nicht das Ziel der Reise.

Dass ich beim Reisen die Welt und ihre Bewohner besser kennenlerne, mein Fernweh stille, dem nomadischen Teil des Menschen Genugtuung gebe, ist imanenter Teils des Reisen.
Warum reisen Menschen die daheim "alles haben" rund um die Welt?
Um als Menschen "rund" zu werden!

Im vollen Bewusstsein der provozierten Krise hat der Reisende also letztlich als Ziel sein inneres Sich-selber und die äussere Welt und die realistische Verbindung der beiden.

Betrachtungen über das Reisen, zwährend ich am Yellowstone Lake im Auto sitze und eben das tue was ich gern tue, schreiben.
Es regnet wie aus Eimern, ich habe kein Hotelzimmer und keinen Campingplatz für die Nacht bekommen. Ich werde also im Auto schlafen , das Bett ist schon gemacht. Was ich aber habe, ist eine Reservierung für einen Tisch zum Nachtessen im Hotel und eine für den Campingplatz für morgen. Ausserdem habe ich heute meine erste Bisonherde und meinen ersten Gysier gesehen - und gerochen - beides!!
Nicht schlecht!! ... auf dem Sofa gibt es Tage, die mehr zu wünschen übrig lassen als dieser.

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